Mein Sinn des Lebens

"There are only three things in life: To read poetry, to write poetry but, best of all, to live poetry." Jill Dawson

Sonntag, 18. Juli 2010

Süsse Avocados


Vor einigen Tagen wurde ich vom Kochfieber gepackt und verspürte einen urplötzlichen Drang etwas Neues auszuprobieren. So habe ich mir mein Lieblingskochbuch gepackt, es von hinten nach vorne fünfmal durchgeblättert und habe mich schlussendlich für ein äusserst bizarr, aber ebenso verlockend aussehendes Dessertrezept entschieden: Eine süsse Avocadocreme mit Himbeersauce. Die Mienen meiner Testesser hätten verwunderter nicht sein können; schwankten sie doch erst irgendwo zwischen Ekel und Argwohn, um dann in einen Ausdruck der puren Freude und des Genusses umzuschlagen. Die süsse Avocadocreme, obwohl doch so ungewohnt, so allen Erfahrungen widersprechend, war ein voller Erfolg. Nichts blieb davon übrig. Selbst nachdem die Schüssel ausgeschleckt war, wurde noch nach mehr verlangt.

Mit dem Schreiben ist es ganz ähnlich. Manchmal muss man aus der Reihe tanzen, um gesehen zu werden. Natürlich geht man dabei ein Risiko ein; man kann sich nie sicher sein, ob man nicht, jenseits des sicheren Weges, ausrutscht und in eine Schlammpfütze, vielleicht gar in einen Abgrund fällt. Aber meist endet der freche Schreiberling wie der aufmüpfige Koch, ist doch das Ungewöhnlichste meist die leckerste Delikatesse.
Wie schnell ist doch die beste Schokoladencreme vergessen! Man hat schon so viele davon genossen; weiss, wie sie dem Gaumen schmeichelt und himmlisch süss die Kehle hinunterrinnt. Wer mag sich noch an eine bestimmte Schokoladencreme erinnern? Natürlich waren sie alle köstlich, doch irgendwie schmeckten sie alle gleich.
Aber wie kann man diese eine Avocadocreme vergessen? Man wird sich stets an sie erinnern, schon nur, weil man vor dem Genuss eigentlich zurückgeschreckt ist, sich nicht auf das Unbekannte einlassen wollte. Um so angenehmer war man dann auch überrascht, als man sich Hals über Kopf in den Neuling verliebte und umso stärker brannte sich diese Empfindung in unserer Erinnerung fest.
Genauso ist es auch mit den Büchern. Ein einfacher Liebesroman ist oft Balsam für die Seele, mag er noch so kitschig und vorhersehbar sein. Er bringt uns ins Schwelgen, nährt unsere Träume... und verschwindet irgendwann irgendwo auf unserem Bücherregal, hinter etlichen Bänden derselben Art, die wir ebenfalls genossen und geliebt haben. Solche Bücher sind rasch gelesen, werden geradezu verschlungen, doch sie sind ebenso schnell wieder vergessen. Aber an den Roman, der uns erst durch seinen kuriosen Stil, seinen verwirrenden Inhalt oder seinen unsympathischen Protagonisten befremdete, werden wir uns noch lange erinnern. Wir stellen in an eine ganz besondere Stelle, nehmen ihn immer wieder zu Hand, suchen nach dieser einen Stelle, die uns so klug erscheint. Und uns wird klar, dass das, was wir erst für gewöhnungsbedürftig hielten, wertvoller ist, als das, dessen Geschmack alltäglich geworden ist, jemals sein könnte.

Was kann man von einer Schokoladencreme erzählen?
Dass sie lecker war. Dass sie nach Schokolade geschmeckt hat. Dass sie schön cremig war.
Was kann man von einer Avocadocreme erzählen?
Dass man noch nie zuvor eine gekostet hat. Dass sie einzigartig war. Dass sie gewagt, aber so unvergesslich gut war.
Dass sie einem einen bleibenden Eindruck auf der Zunge hinterlassen hat.

Und das ist es, was zählt.
Nicht nur in der Küche und nicht nur beim Schreiben. Sondern überhaupt im Leben.
Ungewöhnlich sein.
Unvergleichlich sein.
Unvergesslich sein.
Und sich so einen Platz auf Erden erkämpfen.

1 Kommentar:

  1. Herrlich!
    Übrigens: Die Avocadocrème hat wirklich einzigartig geschmeckt!

    Schokoladenherzchen

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