Mein Sinn des Lebens

"There are only three things in life: To read poetry, to write poetry but, best of all, to live poetry." Jill Dawson

Dienstag, 18. Januar 2011

Zeit heilt Wunden... und verbringt Wunder.


Nach vielen Monaten ist mir gestern zum ersten Mal ein alter Text, an dem ich ganz besonders hange, in die Hände gefallen. Ich blätterte ihn zuerst flüchtig durch, blieb dann aber immer wieder an bestimmten Stellen hängen.
An manche Sätze konnte ich mich noch genau erinnern. So genau, dass ich sie auswendig hätte aufsagen können. Ich wusste noch bis ins kleinste Detail, wann und weshalb ich diese Zeilen geschrieben hatte; wusste, was ich dabei gedacht hatte. Andere kamen mir auf einmal seltsam fremd vor; ganz so, als hätte jemand Anderes sie geschrieben. Manche erschienen mir viel zu gut, um mein eigen Werk zu sein. In einigen erkannte ich eine Reife, eine Weisheit, derer ich mich gar nicht für fähig gehalten hätte.
Der Text wurde zum Spiegel - allerdings zu einer ganz besonderen Art Spiegel; ich sah nicht mein aktuelles Bild darin, sondern ein vergangenes. Tanzende Buchstaben liessen mich eine Zeitreise antreten; ineinander verschlungene Sätze lockten mich in die Vergangenheit zurück.
So lachte ich über manche Abschnitte, weinte beim Lesen anderer. Und auf einmal erschien mir der Text gar nicht mehr so alt. Auf einmal besass er wieder seinen alten Glanz; poliertem Silberbesteck ähnlich. Ich hatte den Glauben in ihn verloren - und dieser kurze Augenblick, dieses Wiederfinden, hat meine Zuneigung zu ihm wieder erweckt. Wie ein alter Freund, den man nach langer Trennung endlich wieder in die Arme schliessen konnte, kam er mir vor. So sehr hatte er sich gar nicht verändert. Und ich selbst auch nicht.

Und deshalb hier nun ein kleiner Ausschnitt aus ebendiesem Werk, das den Weg aus der Vergessenheit in die Gegenwart gefunden hat:

Ich war kein Schulmädchen mehr, auch wenn ich hier unter all den anderen sass, als wäre ich eine von ihnen. Mein Blick fiel auf Amans Nacken, der goldbraun zwischen seinem tiefschwarzen, glatten Haar und seinem total verdrehten, weissen Hemdkragen hervorlugte. Wie immer sass er völlig in sich zusammengesunken da; den Rücken an den harten Stuhl gelehnt, die Beine von sich weg nach vorne gestreckt. Statt sie vor der Brust zu verschränken, hatte er seine Arme ausnahmsweise einmal auf sein Pult gelegt; die Ärmel seines Hemdes hatte er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt; Muskelstränge zuckten unter der blassen Haut seiner Unterarme, als er wiederholt versuchte, seinen Plastikmassstab möglichst geräuschlos entzweizubrechen. Mit einem leisen Knacken gab das Material schliesslich nach. Gelangweilt schob Aman die beiden durchsichtigen Hälften mit seinen schmalen, sehnigen Fingern beiseite – nur, um sie kurz darauf wieder aufzunehmen und damit zu beginnen, die Zentimetergradierung mit seinen abgekauten, rissigen Fingernägeln wegzukratzen. Ein Windstoss fuhr durch das offene Fenster zu unserer Rechten und brachte das dichte, kupfernschimmernde Haar, das hinten auf seinen Hemdkragen fiel, leicht zum Zittern.
Schuldbewusst biss ich mir auf die Unterlippe. Hatte ich nicht beschlossen, mich davon abzuhalten, mich noch mehr in Aman zu verlieben?

2 Kommentare:

  1. Hallo meine Liebe

    Wie schön wieder einmal etwas von dir zu hören resp. lesen. Melde dich, wenn du wieder einmal Zeit zum Telefonieren hast.

    Ganz liebe Grüsse

    Eponine

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