Mein Sinn des Lebens

"There are only three things in life: To read poetry, to write poetry but, best of all, to live poetry." Jill Dawson

Sonntag, 20. Februar 2011

Rausch

Schon oft habe ich gelesen, wie das Tippen auf der Tastatur - sei es nun auf einer Schreibmaschine oder auf einem Computer - mit Klavier spielen verglichen wurde.
Ich bin mit dieser Metapher nicht ganz einverstanden. Es entsteht keine Melodie, wenn ich in die Tasten haue. Im Gegenteil - immer schneller bewegen meine Finger sich über die Buchstaben, fliegen geradezu darüber hinweg, bis sie sie kaum mehr berühren. Und immer mehr löst sich auch mein Geist von dem, was ich tatsächlich schreibe, ab. Meine Gedanken sind schon viel weiter als die Buchstaben auf dem Bildschirm, spinnen bereits, was in der Geschichte selbst noch in ferner Zukunft liegt. Und irgendwann, wenn ich innehalte und erschöpft lese, was ich soeben geschrieben habe, entdecke ich oft Stellen, Gedanken, Worte, an die ich mich nicht einmal mehr erinnern kann.
Nein, mich erinnert Schreiben wirklich nicht an eine Pianokomposition, sondern viel mehr an einen bunten, vielstimmigen Rausch. Meine Gedanken erinnern mich an Derwische, die sich immer schneller und schneller drehen, bis sie die Trance erreichen; den Zustand, in dem sie von der Wirklichkeit vollkommen abgetrennt sind. Wenn man aus diesem Rausch dann erwacht, versteht man erst kaum, wie einem geschehen ist - wie ein Betrunkener, der sich bei seinen Freunden danach erkundigt, was er während des Abends angestellt hat, durchsucht man den Text nach Indizen. Weshalb strömen einem Tränen der Rührung über die Wangen? Weshalb strahlt man wie eine Irre den Bildschirm an und fühlt sich, als könnte man die ganze Welt umarmen?
Jemand hat mir eines Tages erzählt, dass er Musik nicht nur seiner Stimmung anpasst, sondern dass manchmal die Musik seine Stimmung beeinflusst, ja geradezu bestimmt. Genauso ist es für mich mit dem Schreiben. Selbst wenn man keinen realen Grund zur Trauer hat, lässt ein Abschnitt über den Tod einen melancholisch denken und weckt Unruhe im Herzen. Und über die Liebe zu schreiben, gibt einem beinahe das Gefühl, selbst verliebt zu sein.
Das Schreiben ist für mich tatsächlich ein wahres Rauschmittel - einerseits, weil es mich in einen Wirbelsturm der Farben, Geräusche, Düfte und Empfindungen stürzt und andererseits, weil ich mich nicht davon lossagen kann. Sondern immer nur mehr, mehr und mehr will.

2 Kommentare:

  1. Hallihallo, schön wieder von dir zu lesen.

    Genau dieser Rausch vom immer schneller Bewegen und vom sich lösenden Geist wird ja mit dieser Metapher gemeint. Jede Musikerin und jeder Musiker weiss das. Ein Stück von einem depressiven Komponisten weckt häufig solche Empfindungen wie du sie verspürst, wenn du traurige Szenen schreibst. Der Geist löst sich auch beim Musiker, wandert weit weg, das Morgen schon im Heute. Das wird ja auch in allen Büchern so beschrieben. Lies nur einmal "Schlafes Bruder" von Robert Schreiber oder "Shana das Wolfsmädchen" von Federica de Cesco. Auch ein wunderschönes Beispiel für den musikalischen Rausch wäre "Geisterfinger" von William Sleator oder "Ein Dach in Brooklyn" von Unni Nielsen. Du siehst, ich könnte ewig so weiter machen. Vielleicht kannst du als Schriftstellerin den musikalischen Rausch einfach nicht verstehen. Er existiert aber bei jeder Tätigkeit, auf die man sich voll und ganz einlässt. Im Sport wird häufig vom "Flash" gesprochen und in der Montessoripädagogik von einer "Polarisation der Aufmerksamkeit", bei der man alles um sich herum vergisst und vollständig in eine Tätigkeit versunken ist. In deinem zweitletzten Abschnitt widersprichst du dir sogar und gestehst somit den Wahrheitsgehalt der Metapher ein. Was beim Schreiben funktioniert lässt sich auf alle anderen Tätigkeiten übertragen und umgekehrt.

    Ganz liebe Grüsse und ein paar entspannte Schreibstunden

    Eponine

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  2. Das Gefühl ist in der Psychologie auch unter dem Namen "flow" bekannt. Ich verspüre es manchmal, wenn mir eine Unterrichtsstunde besonders gut gelungen ist. Oder wenn ich beim Lesen einfach nicht mehr aufhören kann, bis mir die Augen zufallen.

    Ich wünsche dir und mir noch viele weitere Räusche!

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